Digital ist doch nicht besser

Vielleicht schreckte mich der erste Eindruck am meisten ab: Ein „Science-Fiction-Autor“ soll Williams Gibson Wikipedia zufolge sein, der 1984 „alle gängigen SF-Preise“ erhielt: Den „Philip K. Dick Award“, den „Nebula Award“, den „Hugo Award“. Allerdings könnte nicht nur meine generelle Ignoranz gegenüber dem Sci-Fi-Genre mir den Zugang erschwert haben, sondern auch der Umstand, dass Gibson seit offenbar 30 Jahren dasselbe schreibt – und dass dann trotzdem (oder deswegen) ein Murks wie der im Orignal passenderweise mit ‚Zero History‘ betitelte Roman herauskommt.
„Aber ‚Systemneustart‘ ist gar kein Sci-Fi-Zeug!“ – D’accord! Doch die immerhin unzähligen Erwähnungen aktueller Technik sind nicht nur ungeheuer unnötig und störend, sie wirken vielmehr so, als hätte Gibson den Roman per Namedropping für die Google-Suche zu optimieren versucht. Kaum eine Seite, die ohne das Mac Air, das Neo-Handy oder Twitter auskommt – und wird die Technologie dann doch einmal ausgeblendet, verliert sich Gibson im bedeutungslosen und weitestgehend sinnfreien Erwähnen diverser Künstler und/oder Modemacher. Der überflüssigste Roman über die Liebe in Zeiten des Internets ever.
Neben dem bloßen Aufzählen moderner Elektronik ist auch der auf unsere Realität bezogene Umgang mit derselben lächerlich: Bei Twitter etwa finden sich tatsächlich die User „GAYDOLPHIN1“ und „GAYDOLPHIN2“. Natürlich mit je nur einem Follower und geschützten Tweets. Gnihihi.

Mag sein, dass nicht Gibson oder sein Verlag diese Accounts anlegten, sondern dass besonders gewitzte Fans am Werk waren (vielleicht ist der Roman auch ein Tatsachenbericht, was zumindest Einiges erklären würde).
Fragwürdig an der Einbindung von Twitter in ‚Systemneustart‘ jedenfalls ist schon allein der Umstand, wie unsinnig es anmutet, einen Twitterkanal für die Öffentlichkeit zu sperren, um privat kommunizieren zu können. Nicht nur, dass die Seite ohnehin einen „DM“-Dienst anbietet, der private Mails zulässt: Dialoge übers Internet für abhörsicherer zu halten als solche per Mobilfunk, ist eine Verhöhnung der eigenen Stammleserschaft: der Nerds, die vor lauter Fanboisein großzügig darüber hinweglesen dürften.

Auch ich kann im Übrigen auf eine private Korrespondenz bei Twitter zurückblicken: Eine größere deutschsprachige Zeitung schickte mir als Antwort auf mein ‚Followen‘ das Angebot eines vergünstigten Probe-Abonemments. Ich antwortete begeistert, das Gespräch verlor sich jedoch schließlich.
Kaum spektakulärer ist, was sich in ‚Systemneustart‘ als Plot entspinnt: Da ist ein Junkie, der zusammen mit einer ehemaligen Rocksängerin auf Geheiß eines ominösen Bigend eine Hose suchen soll. Dazu kommt eine Lovestory, die SV.S. in diesem Blog zurecht als schlimmer als „die Twilight-Romantik“ charakterisiert.
Die Figuren sind zudem derart platt, dass zwei ursprünglich nicht an sie gerichtete Verse der österreichischen Band Ja, Panik die Misere auf den Punkt bringen: „Kostverächter, Stiefellecker, blutbefleckte Weltverdrecker / Glücksverbrecher, Scharlatane, glatt-geschleckte Grobiane“.

Oder wie Denis Scheck den Roman, während selbiger (‚Systemneustart‘, nicht der Kritiker) unaufhaltbar in die Mülltonne rollte, vielleicht kommentieren würde: „Bedrückend dämlich.“

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